Deutschlands Reiseplan

Stubaital, schmelzende Gletscher, Quelle: Autor

Stubaital, schmelzende Gletscher, Quelle: Autor

Der Wirbelsturm Katrina mit schweren Schäden an Öl-Raffinerien (2005, ca. 108 Mrd. $), Überschwemmungen in Queensland mit Schäden an den Australischen Kohleminen (2011, ca. 10 Mrd. $) und die Überschwemmungen in Colorado mit katastrophalen Umweltfolgen wegen der dort vorhandenen ca. 50.000 Fracking-Bohrstellen (09/2013, mehrere 100 Mio $?) sind nur drei von zahlreichen Extrem-Wetterereignissen, die zeigen, wie anfällig gegen Klimaveränderungen nicht nur die nukleare, sondern auch die fossile Energiewirtschaft ist. Der 5. Sachstandsbericht zu den Klimaveränderungen auf der Erde, den das IPCC Ende September veröffentlicht hat, kündigt weiterhin eine Zunahme der Extremwetterereignisse an. In Deutschland ist dies eine erhöhte Wahrscheinlichkeit für Starkregen. Neu ist, dass die Wissenschaftler ein stärkeres Ansteigen des Meeresspiegels für wahrscheinlich halten. Bis zu 81 Zentimeter zum Ende des Jahrhunderts sind eine nicht zu unterschätzende Bedrohung.

Für alle, die in Deutschland ein Haus in unmittelbarer Küstennähe besitzen, bedeutet diese Ankündigung von einem Tag auf den anderen einen Wertverlust. Gebäude werden normalerweise über 70 Jahre abgeschrieben. Neubauten, die nicht mindestens 50 cm über dem Meeresspiegel liegen, werden damit zu Investitionsruinen. Denn nicht nur für das Gebäude, sondern auch für Grund und Boden droht ein Totalverlust. Banken werden für bestimmte Regionen keine Baukredite mehr geben oder Risikoaufschläge verlangen. Für die Bestandsgebäude drohen höhere Versicherungsgebühren. Der Staat wird Milliarden in die Verstärkung der Deiche investieren. Elbe und Weser werden wie die Themse vor London, durch teure Sperrwerke geschützt werden müssen. Als wäre diese Herausforderung nicht groß genug, droht gleichzeitig der Preis für alle fossilen Energieträger rapide zu steigen, weil die weltweite Nachfrage steigt, aber die Reserven knapp werden. Der durchschnittliche Ölpreis (Brent) der letzten 3 Jahre lag über 100 $ pro Barrel. Unglaubliche 93,5 Mrd. € wurden 2012 für den Import von Öl, Gas und Kohle ausgegeben. Eine deutlich beängstigendere Entwicklung für die Volkswirtschaft, als der Anstieg der im Strompreis enthaltenen Umlage für Erneuerbare Energien.

In dieser bedrohlichen Situation brauchen Wirtschaft und Gesellschaft einen verbesserten Reiseplan auf dem Weg in eine klimaneutrale Gesellschaft, der die Orientierung erleichtert. Der hieß noch vor ein paar Jahren 20/20/20 und steht (immer noch) für die EU-Ziele für 2020: 20% CO2-Reduzierung, 20% Erneuerbare Energien und 20% Einsparungen durch Effizienzgewinne. Deutschland als größter CO2-Emittent in der EU wollte und sollte mehr leisten, mit -40% als Reduktionsziel. Doch dann kam Fukushima. Seit 2011 trägt der Umbau der Energieversorgung zur Erreichung der Klimaziele in Deutschland den Namen Energiewende. Eine Wende ist diese aber vor allem deshalb, weil die damalige Bundeskanzlerin Merkel erst ein paar Monate vor dem Beschluss zum Ausstieg aus der Atomenergie, die Verlängerung der Laufzeit der Atomkraftwerke verkündet hatte. Heute wird mit der Energiewende vor allem der Umstieg auf Erneuerbare Energien verknüpft, ausgelöst durch die rapiden technischen Verbesserungen, Preissenkungen und dynamisch steigenden Installationszahlen für Erneuerbare Energien in Deutschland. Zusätzlich erwischt die Energiewende einige Marktteilnehmer auf dem falschen Fuß, die eine Umstrukturierung der Energieerzeuger, von wenigen Großkraftwerken in der Hand weniger Konzerne zu einer dezentralen Struktur mit vielen Akteuren, nicht erwartet hatten. Der Klimaschutz ist allerdings angesichts dieser Entwicklung genauso in den Hintergrund getreten, wie der Ruf von Angela Merkel als Klimakanzlerin.

Die von den Wetterkapriolen betroffenen Menschen an Elbe, Donau und der Küste benötigen jedoch eine Perspektive, wie sie finanziell über die Runden kommen, auch wenn das nächste Hochwasser in den nächsten 10 Jahren zum dritten Mal ein Jahrhunderthochwasser sein sollte. Resilienz ist gefragt. Resilienz ist die Toleranz eines Systems gegenüber Störungen. Eine resiliente Gesellschaft zeichnet sich dadurch aus, dass sie z.B. extremen Naturereignissen hohe Widerstandskraft entgegenbringt, bzw. sie mit geringen Schäden verkraften kann. Das kann auch dadurch passieren, dass die Menschen gut versichert sind, oder indem der Staat genug Geld hat, die Schäden an Gebäuden und Infrastruktur immer wieder zu beseitigen. Deutschlands Reiseplan zu mehr Klimaschutz muss also deutlich gestrafft werden, um dem Bürger mehr Schutz vor Sturm und Hochwasser, mehr Preisstabilität bei Energie, mehr Arbeitsplätze durch mehr regionale Wertschöpfung und mehr Lebensqualität durch weniger Lärm, Abgase, Gifte und Abfälle anbieten zu können. Warum sind wir nicht schon früher auf diese Idee gekommen?